In der umfangreichen deutschen Enzyklopädie "Die Musik in Geschichte und Gegenwart" wird im Fachartikel "Marsch" ein einziger österreichischer Regimentsmarsch namentlich erwähnt: Der "73er Regimentsmarsch", auch "Egerländer-Marsch" genannt, von Wendelin Kopetzký! Doch wer war der Schöpfer diese bekannten Musikstückes?
Wendelin Josef Kopetzký wurde am 6. April 1844 in Pecka Nr. 145, Amtsbezirk Neupaka, Kreis Jitschin im Norden des österreichischen Kronlandes Böhmen (heute Tschechische Republik) geboren; in der Taufmatrik und in frühen Quellen wird "Kopecký" verwendet; der noch erhaltene Auszug des Sterberegisters benutzt jedoch die heute übliche Namensform; so hat Kopetzký auch selbst unterschrieben.
Den Forschungen von Dr. Josef Weinmann verdanken wir die Kenntnisse über die Jugend von Wendelin Kopetzký: Er soll bei den Dresdener Sängerknaben gewesen sein und anschließend am Dresdener Konservatorium studiert haben.
Seit dem 24. Jänner 1860 diente er aufgrund der Unterlagen des Militärkapellmeister-Pensionvereins beim 29. Feldjäger-Bataillon in Königgrätz in Böhmen und Czernowitz in der Bukowina. Bis zum Ende des Jahres 1867 war hier Anton Ambrosch (1839-1886) Kapellmeister, von dem heute noch der Parade-Defiliermarsch gespielt wird. Mit Jahresbeginn 1868 folgte Wilhelm Zsák (geb. 1836), der später als Vorgänger von Carl Michael Ziehrer Dirigent der Musik des Infanterie-Regiment Nr. 4 "Hoch- und Deutschmeister" werden sollte.
Wahrscheinlich im Frühjahr 1868 - möglicherweise auch früher - wurde dann Wendelin Kopetzký selbst Kapellmeister beim 29. Feldjäger-Bataillon; mit 30. Juni dieses Jahres löste man die Musikkapelle dieses Truppenkörpers gemeinsam mit 83 anderen auf. Am 15. August 1869 erhielt Kopetzký die angesehene Position des einzigen Marinekapellmeisters der österreichischen Doppelmonarchie in Pola (heute Pula, Kroatien) und war damit "Kapellmeister in Seiner Majestät Kriegsmarine zu Land und See"; diese Stelle bekleidete er bis 30. April 1871. Sein Nachfolger wurde übrigens Michael Zimmermann (1833-1907), der 1867 die internationale Militärmusik-Konkurrenz in Paris mit den "73ern" gewonnen hatte.
Und genau diese preisgekrönte Kapelle übernahm Wendelin Kopetzký am 1. September 1871; das Regiment war zunächst in Theresienstadt (Nordböhmen) in Garnison und wurde dann für ein Jahr nach Prag versetzt. Von 1883 bis 1889 waren die "73er" in Innsbruck stationiert. Der nächste Ortswechsel führte die Kapelle für fünf Jahre nach Pilsen, bis sie ab der Mitte der 1890er Jahre bis zum Ende der Monarchie in Prag garnisonierte.
Die "73er" waren das Hausregiment der Prager, vergleichbar etwa mit den "Hoch- und Deutschmeistern" in Wien. Die Kapelle des Infanterie-Regiments Nr. 73 hatten zeitgenössischen Berichten zufolge einen hervorragenden Ruf und konzertierte während der Sommermonate auch in den Kurorten Karlsbad, Marienbad und Franzensbad.
Unser Militärkapellmeister heiratete am 15. September 1873 in Dresden die 1848 geborene Konzertsängerin Anna Constanza Theresia Jäger. Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor.
Kopetzký starb als aktiver Militärkapellmeister am 18. Mai 1899 in Smíchov bei Prag (heute Stadtteil von Prag). Der noch erhaltene Auszug des Sterberegisters nennt Nierenentzündung als Todesursache. Die "Prager Zeitung" wies in einer kurzen Notiz auf das Ableben Kopetzkýs hin.
Wendelin Kopetzký schrieb über 200 Werke, mehr als drei Dutzend sind heute noch nachweisbar. Die ersten Druckausgaben erschienen in den 1870er Jahren. Neben einigen Tanzstücken ("Aus dem Böhmerwald" Walzer op. 57, "Tiroler Diand'ln" Walzer op. 174, "Myrthe" Polka op. 62, "Die Leitmeritzerin" Polka française, "Express Polka schnell", "Ihr Blick" Polka-Mazurka, "Die Debutantin" Polka-Mazurka op. 36, "Gruß aus dem Inntale" Polka-Mazurka op. 140, "Die Innsbruckerin" Polka-Mazurka op. 152, "Královna plesu" Polka tremblante) komponierte er vor allem Märsche.
Zu erwähnen wäre vielleicht der Marsch "Durch den Arlberg" op. 139, der anläßlich des Durchstichs des Arlberg-Bahntunnels im Jahre 1883 geschrieben wurde, oder der "Innsbrucker Cadettenschul-Marsch" op. 148. Am bekanntesten wurde jedoch der "73er Regimentsmarsch", der "Egerländer-Marsch".
Kopetzkýs berühmtestes Werk wurde im 25. November 1891 bei einem Konzert im Vereinshaus des "deutschen Lese- und Unterhaltungsvereines" in Pilsen erstmals öffentlich gespielt. In einer ausführlichen Rezension in der "Pilsener Zeitung" von 28. November bezeichnete man den "neuen Regimentsmarsch" (er hatte noch keinen Titel) als "reizendes Werk", das viel Anklang fand und wiederholt werden mußte. Die Druckausgabe erschien beim Musikverlag Steinhauser in Pilsen.
Der erste Teil des Marsches enthält Volksweisen in Egerländer Mundart ("Musikanten spülts oins af, Musikanten sad's rät brav ...") - Eger (heute Cheb in der Tschechischen Republik) war die "Ergänzungs-Bezirksstation" des Regiments. Im Trio verwendet Kopetzký das ehemalige Fahnenlied des Regiments "Und wenn die Welt voll Teufel wär'", das 1886 von Hauptmann-Auditor Freiherr von Legnani komponiert wurde.
Der "Egerländer-Marsch" hatte und hat große Bedeutung für die Sudetendeutschen aus den ehemals überwiegend deutschsprachigen Gebieten Böhmens. Er war in der Zwischenkriegszeit dem Wiener Infanterie-Regiment Nr. 3 "Erzherzog Karl" zugeordnet und ist in der Zweiten Republik der Traditionsmarsch der Pioniertruppenschule.
Eine Notenausgabe für Blasorchester gibt es u. a. vom Wiener Musikverlag Kliment, zu hören ist der Marsch z. B. auf YouTube und auf Spotify.
Literatur: "Zum 100. Todestag von Wendelin Kopetzký: er schrieb den 'Egerländer-Marsch'", Österreichische Blasmusik Jg. 47, Juli 1999, S. 9 f.